Mittwoch, 4. Juni 2014
Die Techniken meines Hochstaplers Teil 7
Die Techniken meines Hochstaplers

Teil 7 (letzter Teil): Schauspielern

Die ultimative Show. Prinz Charming schauspielert.

Jetzt ist er nicht mehr in der Denkpause, sondern er redet schnell und gestikuliert. Ich beobachte ihn, zum Teil rückblickend, nur in wenigen Situationen, aber die haben es durchaus in sich.

Situation 1:
Ich erkläre Prinz Charming Einiges über unsere Daten. Am Ende frage ich: War das hilfreich?
Seine Antwort: Auf jeden Fall. ( + gewinnendes Lächeln).
Zwei Wochen später stelle ich fest, dass es nicht hilfreich war, denn er kann sich an die Erklärung anscheinend nicht erinnern.
Ich drehe mich weg und gehe zum Nachbartisch. Prinz Charming beginnt hektisch den Code zu bearbeiten.
Ich sehe ihn aus den Augenwinkeln mit der Maus umherklicken und höre ihn stöhnen.
Man muss dazu wissen, dass Software-Entwickler gelegentlich beim Lesen von Code, insbesondere bei dem schlechten Code anderer Leute, stöhnen.
Ebenso tun wir es, wenn wir grad nicht vorankommen.
Als ich Prinz Charming so stöhnen höre, drehe ich mich noch weiter um, um das Elend nicht mit ansehen zu müssen. Er kriegt es nicht gebacken, denke ich.
Es ist der Tag, in dessen weiteren Verlauf mir klar wird, dass ich mich von ihm trennen muss, weil es ganz und gar zwecklos ist.
Später schleicht sich mir allerdings die Hypothese auf, dass das auch einfach geschauspielert sein könnte.
Als ich mal zum Berliner sagte: Was macht der eigentlich den ganzen Tag, meinte dieser: Na ich habe ihn gelegentlich über den Code schimpfen hören. Ich befürchte also, den Berliner hat er auch ausgetrickst.
Was auch erklären würde, warum Prinz Charming immer wieder im falschen Code-Zweig gelandet ist. Und was ebenso erklärt, warum er mit dem geöffneten Unit-Test dasitzt und wartet, dass ich etwas damit tue, anstatt dass er mir was damit zeigt.
Normalerweise sitzt ja Prinz Charming mit seinen Kopfhörern vor seinem PC und was auch immer er macht, wieviel Zeit auch immer er damit verbringt, sich wirklich mit Software zu beschäftigen, das Ergebnis ist gleich Null.

Situation 2:
Projekt-Abschlussgespräch.
Ich hatte Prinz Charming auf sein Bitten hin vorab versprochen, keine negativen Dinge über ihn zu verlauten. Da mir positive Dinge nicht einfielen und mir da zum ersten Mal der Hochstapler-Verdacht kam, ließ ich mir von Prinz Charming selbst seine Positiv-Liste diktieren. Die auch nicht besonders lang war. Dazu berichtete ich dem Verleiher noch über unsere diversen Schwierigkeiten, soweit sie für das Verleih-Geschäft interessant waren.
Zunächst schrieb der Verleiher eifrig mit, später redete dann noch Prinz Charming. Der Verleiher hatte da sein Buch schon zugeklappt und sich auch nichts mehr notiert. (Vielleicht wusste ja auch der Verleiher etwas mehr, als er zugegeben hatte?) Wie dem auch sei, Prinz Charming zog am Ende noch schnell eine kleine Show ab, um einen guten Eindruck zu schinden.
Er sprach sehr schnell, was ich von ihm garnicht kannte. Klar, kann die Aufregung gewesen sein. Er redete darüber, dass er sich mit seinen Vorstellungen nicht hätte durchsetzen können, wenn er sagte:
"So macht man das heutzutage" und im Team wären sehr erfahrene Programmierer, die das eben anders gelernt hätten. Ich fand die Ausführungen eher schwach, aber warum sollte er nicht seine Chance bekommen, seine Sicht der Dinge darzustellen.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich gerade in der Phase, meinen Hochstapler-Verdacht zu erhärten.
Was ich nicht weiss, ist, wie viel hoch gestapelt wird und was echt ist. Aber die Tatsache, dass Prinz Charming nichts Anderes zu sagen hat, und die Art, wie er offensichtlich versucht, seinen Arsch zu retten, spricht für sich.

Situation 3:
Gespräch beim Niederländer im Büro.
Ich kam dazu, wie sich Prinz Charming und der Niederländer in dessen Büro unterhielten. Prinz Charming redete darüber, dass man das eben heutzutage so mache und nicht wie der Niederländer meint. Es kam mir vor, als hätte er die Szene des Projekt-Abschlussgesprächs nochmal recycelt.
Da ja bereits klar war, dass er bald gehen muss, fand ich das völlig fehl am Platz, jetzt noch solche unnützen Grundsatzdiskussionen zu führen.
Aber der Niederländer ging darauf ein und versuchte zu argumentieren.Ich wahrte gerade noch das Gesicht und die Anstandszeit, bevor ich beide unterbrach. So ließ sich also der Niederländer täuschen.

Hier ein kleiner Einschub, warum ich nicht eingegriffen habe.
Zunächst will man es nicht wahr haben. Dann ist man auch anderweitig beschäftigt und irgendwer muss ja das Projekt voranbringen. Ich habe auch nicht den ganzen Tag Zeit, zu gucken, ob hier vielleicht ein Hochstapler am Werk ist. Dann ist es auch die Verblüffung über so viel Frechheit, oder vielleicht irre ich mich ja doch. Was nicht sein kann, dass nicht sein darf.
Ich bin zu diesem Zeitpunkt ja noch lange nicht so weit wie jetzt, als ich dies hier schreibe. Und ich will ja unbedingt beobachten, wie er mich täuscht. Selbst als ich ziemlich genau merke, was gespielt wird, gelingt es mir nicht besonders gut, Prinz Charming Grenzen zu setzen.

Situation 4:
Gerade erst erkannt, obschon lange her.
Google verrät mir, dass Prinz Charming schon mal bei einem Treffen der Java Unix User Group war. (Auch eine schöne Gelegenheit, Feldstudien über das Verhalten von Unix-Gurus durchzuführen.) Ideologische Debatten über den besten Unix-Editor kann er jedenfalls spielend führen. Und dazu fällt mir tatsächlich eine Episode aus dem letzten Jahr ein.
Wir haben da noch den Ahnüh6, der leider kein Unix kann, ausser es mal im Studium gehört zu haben. Ich saß also bei Ahnüh6 und er öffnete unter unix mit dem Editor vi eine Datei. Der vi (wih-eih gesprochen) ist nicht so ganz leicht zu bedienen. Man darf zunächst erstmal getrost die Maus weglegen, denn mit dem vi wird allein mit Tastatur-Kommandos gearbeitet. Auch zum Seite Umblättern braucht es die Kenntnis einer Tastenkombination. Zwar finde ich es beeindruckend, dass Ahnüh6 versucht hat, sich mit dem vi anzufreunden, aber umblättern kann er nicht. Daher ist es ihm auch entgangen, dass das von ihm geöffnete file nicht auf eine Seite des Fensters passt.
Ich sage: das hat keinen Zweck, jetzt auch noch vi zu lernen, benutze doch einen anderen Editor. Da meldet sich Prinz Charming vom Nachbarplatz und meint: der vi wäre doch kein schlechter Editor.
Ach hätte ich doch Prinz Charming das Keyboard in die Hand gedrückt und ihn gebeten, auf die 2. Seite zu blättern. Naja, vielleicht hätte er das hingekriegt, wer weiss.
Jedenfalls ist diese Situation ein wichtiger Baustein in seinem "Ich bastele mir den Anschein eines Kompetenz-Profils". Ich habe ihn damit als tatsächlich Unix-erfahren in meinem Kopf abgespeichert, im Gegensatz zu Ahnüh6, der es offensichtlich nur auf dem Papier ist.
(Dass Prinz Charming wenig kooperativ ist und den Kollegen nicht hilft, fällt mir später noch im Zusammenhang mit seinen Kopfhöreren auf. Die Kopfhörer kommen erst zum Einsatz, nachdem Ahnüh6 weg ist und der Berliner und Prinz Charming wohl nicht so gut miteinander können, was ich sehr schade finde, aber nicht ausreichend hinterfrage)

In unzähligen Situationen hat Prinz Charming mir und anderen etwas vorgeschauspielert, uns getäuscht und ausgetrickst und manipuliert. Ich denke nur an die Situation mit dem Vorlesen aus der leeren Kladde. Und die sehr schnellen eifrigen Beschwichtigungen, wenn er merkt, es könnte schiefgehen.
Die Standard-Sprüche von ihm, die immer passen. (Mein Lieblingsspruch: Es war nicht umsonst!)
Die Sätze von mir, die er sofort umgedreht und recycelt hat:
Ich: Der Berliner war nach 5 Monaten eingearbeitet. Er: Ich bin jetzt auch soweit.
Ich: Ich glaube, das wird mir nochmal leid tun. Er: Es war die richtige Entscheidung!

Eine offene Frage bleibt:
Was um alles in der Welt hat Prinz Charming den lieben langen Tag versteckt hinter seinen Kopfhörern und seinem Bildschirm getrieben, wenn er uns grad nicht verarscht hat?

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Dienstag, 3. Juni 2014
Die Techniken meines Hochstaplers Teil 6
Die Techniken meines Hochstaplers

Teil 6: Sich Arbeit verschaffen

Wenn man Prinz Charming an seinem Arbeitsplatz trifft, hat er Kopfhörer auf. Das ist doch eine super clevere Tarnung! Wenn ihn jemand anspricht, muss er erst die Kopfhörer abnehmen, nochmal nachfragen und hat dann jede Menge Zeit, sich die passende Lügengeschichte auszudenken.

Irgendwann würde ja jedem auffallen, selbst mir, dass der Hochstapler nichts tut. Es ist also die hohe Kunst, diesen Zeitpunkt rechtzeitig vorher zu sehen und dann geeignete glaubhafte Angebote zu machen, um die Enttarnung noch viele Wochen und Monate hinauszuzögern.

Prinz Charming unternimmt mindestens 2 solche Versuche.

Versuch 1: Das Observer Pattern
Pattern (Entwurfsmuster) sind in der Software-Entwicklung beliebt. Man kann damit Konzepte verständlich ausdrücken. Ein solches Entwurfs-Muster ist das Observer-Pattern. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der exzellente Beobachter Prinz Charming ausgerechnet das Beobachter-Muster vorschlägt. Vielleicht kann er es sich auch deshalb so gut merken.
Er schlägt also vor, statt unsere Daten zu migrieren, wie ihm aufgetragen ist, noch schnell eine Software zu schreiben, die mit dem Observer-Pattern den Migrationsprozess beobachtet und steuert. Wir haben schon viel Zeit in die Migrations-Software investiert und haben riesige Datenmengen zu migrieren, bei denen uns noch einige Überraschungen erwarten werden.
Also sage ich: Dazu haben wir keine Zeit.
Prinz Charming fährt schnell fort: So ein Observer-Pattern schreibt man in einem Tag aus dem Lehrbuch ab.
Ich sage: Die Idee ist im Prinzip gut, wir nehmen sie mal für später auf, aber erst will wenigstens ich die Daten des letzten Jahres migriert sehen. Wenn das fertig ist und Zeit ist, können wir das Observer Pattern einbauen.
Der Niederländer meint hinterher zu mir: Der kriegt doch das Observer Pattern nicht eingebaut. Mit dieser Einschätzung stimmen wir schonmal überein.

Ich stelle mir nachträglich vor, wir hätten uns darauf eingelassen. Prinz Charming hätte eine Implementierung aus einem Buch abgetippt oder eine aus dem Internet heruntergeladen. Das Ganze ein bisschen schick formatiert und mit eigener Autorschaft garniert - formatieren kann er übrigens. Immerhin hätten wir den Eindruck gewonnen, dass er programmieren kann. Dann hätte das leider leider leider viel länger gedauert als geplant, weil leider leider leider immer wieder diverse kleine Widrigkeiten dazwischen gekommen wären. Und mehrere Monate später hätte sich jemand erbarmt und ihm geholfen, dass schicke Stück Code in unsere Umgebung einzupassen, worin ja die eigentliche Arbeit steckt.
Vielleicht hat er das auch schon einmal erfolgreich durchgezogen, wer weiss? Beim letzten Kunden vor uns war er zwei Jahre.

Versuch 2: Die Pipe.
Prinz Charming arbeitet sich mal wieder an einem Ticket zur Migration ab, das er schon 2 Monate bearbeitet hatte und wir ihm zwischendurch weggenommen hatten.
Es ist sein letzter Monat, alle wissen, dass er gehen wird und wir erwarten nicht wirklich mehr Resultate. Da kommt Prinz Charming zu mir.
Er hätte sich den Code angesehen. Anscheinend weiss er nicht mal mehr, dass er schon 2 Monate an genau diesem Code gearbeitet hat. Wir hätten da 2 Code-Teile, den Migrator und den Comparator. Die wären getrennt. Er würde vorschlagen, die mit einer Pipe zu verbinden und so direkt hintereinander laufen zu lassen. Er fragt mich, ob ich das Konzept der Pipe kennen würde. Ein bisschen finde ich das eine Frechheit, denn wer sich mit Unix auskennt, kennt die Pipe.
Prinz Charming sollte wissen, dass ich mich mit Unix auskenne und er sollte sich damit auch auskennen.
Ideologische Debatten über den besten Unix-Editor kann er jedenfalls führen, da war ich schon dabei.
(Rückblickend wird mir klar, dass er nicht in der Lage ist, das, wovon er redet, fachlich einzuschätzen. Er geht also mit so einem Vorschlag in der Regel ein hohes Risiko ein, enttarnt zu werden.)
Ich frage ihn, ob er mein Migrations-Konzept gelesen habe. Er bejaht. Mich wundert schon garnichts mehr.
In meinem Konzept steht explizit, dass und warum wir den Code getrennt haben. Wir wollen dadurch systematische Fehler vermeiden. Er sagt: diese Diskussion wäre ihm nicht bekannt gewesen. Sollte sie aber, wenn er mein Konzept gelesen hat.
Diesmal macht er kein gewinnendes Lächeln, sondern zeigt ansatzweise so eine Art leichte Zerknirschtheit.
Die ist aber längst nicht so gut wie die Lächelmaske.
Ich denke mir: Wo hat er bloss das mit der Pipe nun wieder aufgeschnappt? Später rede ich mit dem Berliner, der sagt: Aber das ist doch meine Idee.

Zu diesem Zeitpunkt ist mir nicht klar, warum sich Prinz Charming jetzt noch soviel Mühe gibt. Will er unbedingt noch den Anschein eines guten Eindrucks hinterlassen?
Plötzlich / endlich ist er am Projekt interessiert, oder er versucht zumindest diesen Eindruck zu erwecken. Er kann jetzt aber nicht ernsthaft glauben, ich überlege mir das nochmal anders mit seiner Kündigung.
Auch so eine der offenen Fragen. Vielleicht lautet die Antwort einfach: Weil er mit mir spielen will?

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