Deutsche Küche
Neulich in Berlin auf Dienstreise.

Mit den lieben Kollegen, die aus ganz Deutschland angereist sind, geht es abends nach der Schulung noch in die Kneipe. Also sind alle ziemlich hungrig, zumal wir für unsere Gesundheit eine halbe Stunde mit unseren Köfferchen durch Mitte gewandert waren und Einige seit Stunden (seit dem Morgen?) nichts mehr gegessen haben.

Ich habe ja beinahe Heimvorteil als alter Lebens-Abschnitts-Berliner und nichtmal 3 Stunden Zugfahrt aus dem ländlichen Vorpommern.

Wir sind zu 17t und schon die Getränkebestellung läßt auf sich warten.
Daher bestelle ich dann auch vorausschauend eine Vorspeise zu meinem Hauptgericht.
Mein Menü besteht also aus: Berliner Weisse rot, Pfifferlingssuppe und Sellerieschnitzel auf Bandnudeln (ganze Selleriescheibe paniert und gebraten - lecker!).

Die rote Weisse (Berliner Weisse mit Himbeersirup) ist leer, dann bestelle ich noch eine grüne Weisse (selbige mit Waldmeistersirup) hinterher. Wir unterhalten uns prächtig und ich merke kaum, wie die Zeit vergeht. Ab und an machen Tischnachbarn Kommentare über Hunger und schließlich schaue auch ich auf die Uhr - etwas verwundert, wie spät es schon ist. Und ja: ich habe Hunger!

Dann kommt nach anderthalb Stunden endlich das Süppchen, leider etwas salzig. Meine Tischnachbarin hat auch Suppe, alle anderen werden langsam unruhig, ungeduldig und beginnen blöde Sprüche zu machen.

Am Nebentisch bekommt ein Päärchen sein Essen, das deutlich nach uns kam. Die Stimmung wird immer ungemütlicher und der Hunger immer größer.
Schliesslich rennt jemand in die Küche und ... beschimpft den Koch.

Wenig später kommt der Koch und versucht die Wogen zu glätten.
Ich bewundere ihn. Er nimmt alle Schuld auf sich und verspricht, "durch Qualität" zu glänzen. Die Menge ist kaum zu bändigen. Er muss sich einiges anhören, was ich hier nicht unzensiert wiedergeben kann.
Die Kellnerin betont immerzu, sie wäre unschuldig und versucht weitere Getränke zu verkaufen.

Schliesslich essen alle und es kehrt vorübergehend Ruhe ein. Das Essen ist okay, auch wenn ich mich frage, was daran so lange dauern konnte. Ich denke, nun werden sie ja besänftigt sein. Ich bin es jedenfalls und freue mich schon auf mein Bett. Nun soll der Küchenchef uns auch noch einen Schnaps aufs Haus bringen, den er uns vorhin versprochen hatte.

Beim Bezahlen gibt es noch das nächste Drama: Es dauert endlos lange und die Kellnerin hat nicht genug Wechselgeld. Zahlen mit Karte geht nicht. Und das mit dieser Meute. Es wird verhandelt, ob nicht alle Getränke aufs Haus gehen könnten.

Langsam gerät das Ding zu einer Studie in Verhalten von Gruppen von Menschen.
Ich versuche mich am "Rand" der Gruppe zu halten, denn ich will keinen Stress haben und vor allem mir keinen Stress machen. Ich fand das Essen und die Bedienung okay und hatte mich ja auch gut unterhalten und für mich gut gesorgt im Rahmen der Möglichkeiten, indem ich mir vorsorglich eine Vorspeise bestellt hatte.
Mit der nörgelnden Menge will ich eigentlich nichts zu tun haben, da sie sich auch von mir nicht besänftigen läßt. Sie wollen sich anscheinend aufregen und sich selbst den Abend verderben und der Kellnerin und dem Koch auch.

Witzigerweise hatte ich wenige Tage vorher einen Fragebogen über Streß ausgefüllt und dabei ist rausgekommen, dass ich ganz gut stressresistent bin. Dieses Erlebnis scheint es mir zu bestätigen.

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