Sonntag, 14. April 2019
Kann so ein kleines Kind einen Burnout haben?
Wo wir gerade beim Thema Verkehr waren:

Ich blicke mich in der Straßenbahn um. Leere, abwesende Blicke. Menschen, die konzentriert auf ihre Handys starren.

Mir gegenüber ein kleines Kind in einem Buggy. Es sieht winzig aus, schmächtige Ärmchen, blaß und zusammengesunken hängt es mehr in seinen Gurten als dass es sitzt. Sein Vater ist einer von der Handy-Fraktion und mit sich selbst beschäftigt.

Das Kleine guckt mich mit seltsam leerem Blick an, fast als würde es durch mich hindurchgucken. Nein, es sieht und registriert mich. Ich versuche ein leichtes Lächeln.
Es sieht mich weiterhin an, ohne auf mein Lächeln zu reagieren. Es scheint zu beobachten, wie mein Lächeln funktioniert.

Ich blicke weg, nur um gleich wieder hinzusehen. Betrachte dieses Würmchen erneut. Wie es dort sitzt. Irgendwie verkrampft, fast ein wenig unglücklich. Ich versuche noch ein Lächeln, diesmal länger. Wieder blickt dieses Kind mich nur an und mustert mich, eher gelangweilt, wie weggebeamt. Sein Blick irgendwie leer, wie bei den Erwachsenen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, es hat Burnout.

Ein anderes Kind steigt auf dem Arm seines Vaters ein. Es ist agil, blickt um sich, redet ohne Unterlass auf seinen Vater ein. Das Würmchen blickt das andere Kind an. Ohne zu lächeln. Das andere Kind blickt zurück, ist aber sogleich mit den Dingen vor dem Fenster beschäftigt. Da fährt ein Bus. Und bald wird es wieder aussteigen. Aber jetzt fährt erst einmal die Straßenbahn an. Siehst Du, Papa?

Das Würmchen mustert das andere Kind fast genauso ungerührt wie mich zuvor. Es lächelt nicht, es blickt nur stumm. Da hat doch dieses kleine Wesen den leeren Blick der Erwachsenen schon gelernt, denke ich. Es kann es bald noch besser.

Es ist mit dem falschen Bein aufgestanden, schießt mir durch den Kopf. Es ist heute nicht sein Tag, liegt mir auf der Zunge. Mir fällt eine Redewendung nach der Anderen ein, aber Burnout trifft es am besten.

Der Vater hat sein Handy weggesteckt und liebkost sein Kind. Streichelt es an der Wange. Wieder kein Lächeln.
Nimmt ein Taschentuch und schnäuzt sein Kind. Es wird immer mehr, was da aus der Nase kommt. Immer noch mehr. Kaum wischt der Vater es weg, zieht es mehr nach sich. Das Taschentuch reicht nicht aus.

Ich reiche dem Vater eines von meinen. "Mit Ihrem Kleinen ist heute aber kein Staat zu machen." "Ja, der ist ein bisschen groggy." Wir wünschen uns einen guten Tag, denn ich steige hier aus.

Wieder in Bewegung und an der Luft erhält mein Gehirn frischen Sauerstoff und mir wird klar: Dieses Kind hatte die Nase voll.

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